Nun sind sie da, die E-Tretroller. Was die urbane Mobilität revolutionieren soll, entfacht eine Debatte um die Sicherheit des Verkehrs. Vordergründig. Tatsächlich geht es aber um die Neuverteilung der Rollen im Verkehrsraum.
Ein Kommentar
Sagt Ihnen der Name Dean Kamen etwas? Der amerikanische Erfinder entwickelte vor bald zwanzig Jahren den Segway. Der selbstbalancierende Stehroller auf zwei Rädern sollte den städtischen Verkehr revolutionieren. Wendig, leise und emissionsfrei dank Elektromotor. Als der Segway auf den Markt kam, folgte in Deutschland ein langwieriger Zulassungsmarathon, bis er 2009 offiziell am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen durfte. Den massenhaften Durchbruch hat das alternative Fortbewegungsmittel dann doch nicht geschafft. Zu teuer, zu unhandlich. Heute taugt die kultige Erfindung bestenfalls für touristische Stadtrundfahrten.
Jetzt also sind es die elektrisch angetriebenen Tretroller, die die urbane Mobilität verändern sollen. Sie sind emissionsfrei, flexibel nutzbar und sollen das intermodale Unterwegs sein als Ergänzung zu anderen Verkehrsmitteln wie Bus und Bahn attraktiver machen. Umfragen zufolge halten zwei von drei Bundesbürgern den Roller für eine gute Ergänzung im städtischen Verkehr. Seit wenigen Wochen nun sind sie auch in Deutschland zugelassen. Die Verleihfirmen wittern ein Riesengeschäft. Seit die großen Anbieter die E-Tretroller zu Hunderten in den Innenstädten zum Verleih per App anbieten, übernehmen die kleinen Flitzer die Straße.
Und wieder tobt um das neue Fortbewegungsmittel, das sich jetzt im dichten Cityverkehr seinen Platz behaupten muss, eine heftige Debatte. Geschürt wird sie von den ersten Nachrichten von ersten schweren Unfällen und der Gefährdung der Verkehrssicherheit. In Berlin kollidierte eine Rollerfahrerin mit einem Lkw, in London starb eine prominente Youtuberin noch am Unfallort, in Köln stoppte die Polizei alkoholisierte Fahrergruppen, am Niederrhein fuhr ein 28-Jähriger kurzentschlossen mit seinem E-Tretroller über die Autobahn A46, weil er nicht auf seinen Zug warten wollte. Dass auf Autobahnen nur solche Fahrzeuge erlaubt sind, die mehr als 60 Kilometer pro Stunde fahren können, während ein E-Tretroller nicht schneller als 20 Kilometer pro Stunde fahren darf, hatte der Mann wohl vergessen.
Verkehrsrechtlich gesehen lässt sich dem E-Tretroller schwer einem eindeutigen Raum zuordnen. Für den Bürgersteig ist er zu schnell, für die Autospur zu langsam. Die Folge: Überall sieht man die Flitzer zwischen allem, was sich auf der Straße bewegt, herumkurven. Die einen bejubeln sie als hippe klimafreundliche Lösung für verkehrsgeplagte schadstoffbelastete Innenstädte. Die anderen halten sie schlicht für eine Pest, die die Ungleichheit zwischen den Verkehrsteilnehmern nur noch schüren.
Allerdings geht es nur vordergründig um die Frage der Sicherheit. Denn wer nichts weniger als eine Verkehrswende will, um Verkehrsinfarkte abzuwenden, Klimaziele zu erreichen und Schadstoffbelastungen der Luft zu mindern, steht vor großen Veränderungen. Wenn Städte den Klimanotstand ausrufen, muss auch Mobilität neu gedacht werden, was nichts anderes heißt, als die gewohnten Rollen im Straßenverkehr neu zu definieren. Dabei mutiert die Frage, wer künftig zurückstecken muss und wer profitieren darf, zu einer Art Glaubenskrieg.
Dabei hat technologischer Fortschritt immer Umwälzungen im Gepäck – und um die Auswirkungen wurde schon immer gerungen, wenn die Anwendung neuer Möglichkeiten im Reallabor des öffentlichen Raums erprobt worden ist. Erinnert sei an der Stelle an den Aufruhr, den die ersten motorisierten Verkehrsmittel hervorriefen. Als 1833 der Dampfomnibus „Enterprise“, den der Engländer Walter Hancock konstruiert hatte und 14 Passagieren Platz bot, in London zwischen Paddington und Moorgate als öffentliches Verkehrsmittel pendelte, standen die Londoner dem neuen Gefährt skeptisch gegenüber. Angeblich sollen Passanten das motorisierte Fahrzeug mit Steinen beworfen haben – aus Angst vor Explosionen.
Und als die ersten selbstgelenkten Automobile die Straßen zwischen Pferdefuhrwerken, Fahrrädern und Passanten übernahmen, erschien die neue Technik so gefährlich, dass 1865 der „Red Flag Act“ verabschiedet wurde. Das Gesetz schrieb vor, dass jedem Automobil ein Fußgänger voraus zu laufen habe, der zur Warnung vor dem anrollenden Gefährt eine rote Fahne schwenkt. Erst drei Jahrzehnte später, im Jahr 1896, wurde das Gesetz im Vereinigten Königreich aufgehoben und damit Automobilen erlaubt, schneller als Fußgänger unterwegs zu sein.
Heute klingt das Beispiel skurril. Aber es illustriert die Notwendigkeit, mit den Veränderungen, die technologischer Fortschritt mit sich mitbringt, umzugehen – und mit dem Ärger. Damals wie heute scheint das eine schwierige Aufgabe für alle Beteiligten. Das Ringen um den richtigen Platz im öffentlichen Raum wäre leichter, würde der E-Tretroller als ernsthafte Ergänzung eines intermodal organisierten Verkehrs wahrgenommen. Noch ist nicht zu erkennen, ob er jenseits eines hippen Freizeittrends einen echten Mehrwert bietet und dazu taugt, Mobilität nachhaltig zu verändern. Schneller als mit einem herkömmlichen Fahrrad ist man damit jedenfalls nicht. Erst wenn sich der Hype um das Spielzeug, das gestandene Erwachsene zu juchzenden Kindern macht, gelegt hat, wird sich zeigen, ob die E-Tretroller mehr als ein schnelles Geschäftsmodell sind und das Zeug dazu haben, die Verkehrswende anzuschieben. Bis dahin wäre es klug, seine Nutzer würden ihren Kopf gebrauchen und sich in schlichter Rücksichtnahme üben.