Immer mehr Kommunen rufen seit dem Frühjahr den Klimanotstand aus. Jetzt hat Köln als erste deutsche Metropole offiziell anerkannt, dass es eine Klimakrise gibt und mehr getan werden muss, um sie zu begrenzen. Aber was bedeutet das genau?
Konstanz war die erste deutsche Stadt, die Anfang Mai 2019 den sogenannten Klimanotstand ausrief. Innerhalb weniger Wochen sind 20 Kommunen und Kreise allein in Nordrhein-Westfalen dem Beispiel der Bodensee-Stadt gefolgt. Weltweit machen es Metropolen wie Vancouver, New York City und Sydney vor. In Großbritannien hat das britische Parlament am 1. Mai 2019 einen landesweiten Klimanotstand erklärt. Irland und Frankreich folgten wenige Tage später.
Der Begriff „Notstand“ klingt dramatisch, nach „Fünf vor Zwölf“ und nach letzten Mitteln. Gemeint ist damit die formale Anerkennung, dass die mit dem Klimawandel verbundenen Gefahren vor Ort nicht mit bisherigen Mitteln abwendbar sind und neue außergewöhnliche Mittel angewendet werden müssen. Geprägt wurde der Begriff vom Club of Rome, als er dem EU-Parlament im Dezember 2018 seinen „Climate Emergency Plan“ vorlegte. Er benennt zehn Maßnahmen gegen die globale Erwärmung, die sofort ergriffen werden müssten, um die weitreichenden Folgen für unser Klima einzudämmen und das vom Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) ausgegebene 1,5 Grad-Ziel zu reißen. In diesem Plan heißt es: „Um die schlimmsten der prognostizierten Ergebnisse zu vermeiden, müssen die globalen CO2-Emissionen bis 2030 um die Hälfte und bis 2050 auf Null reduziert werden.“ Dies sei eine beispiellose Aufgabe, die eine Reduktionsrate von mindestens 7 Prozent jährlich erfordere. Kein Land habe bisher mehr als 1,5 Prozent erreicht, kritisiert der Expertenrat, der schon 1972 auf die Grenzen des Wachstums aufmerksam gemacht und den Grundstein für eine weltweite Nachhaltigkeitspolitik gelegt hat. „Die einzig mögliche Reaktion sind Sofortmaßnahmen, die die sozialen, wirtschaftlichen und finanziellen Systeme der Menschen verändern.“
Doch mit einem rechtlichen Notstand, der in der Verfassung festgeschrieben ist, um im Krisenfall die Handlungsfähigkeit der Regierung zu sichern und dafür die Grundrechte des Individuums einschränkt, hat das nichts zu tun. Vielmehr ist der Klimanotstand zunächst einmal nichts mehr als ein „griffiges“ Etikett für eine freiwillige Selbstverpflichtung. Wie sie genau ausgelegt wird und welche konkreten Maßnahmen – „emergency actions“, wie sie der Club of Rome fordert – die Kommunen für die Umsetzung entwickeln, bleibt ihnen selbst überlassen. Allgemeingültige Regeln, Gesetze oder Auflagen gibt es nicht.
Ob die Ausrufung des Klimanotstands wirklich zum Handeln zwingt, bleibt abzuwarten. „Die Städte wissen um die Bedeutung des Klimaschutzes“, sagt Oberbürgermeister Markus Lewe aus Münster. „In jeder Stadt gibt es Möglichkeiten, noch stärker zum Erreichen der Klimaziele von Paris beizutragen.“ Dabei sei es wichtig, die Akzeptanz in der Bevölkerung für die notwendigen Schritte zu fördern. An und für sich sei das Konzept nicht neu, sagt Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages im Juli im Interview mit dem WDR. Seit Jahrzehnten schon stellten die Kommunen Klimaschutzpläne auf und unterlegten sie mit Potenzialanalysen, konkreten Maßnahmen und Vorhaben. Allerdings würden die Bürger das oft nicht wahrnehmen, sagt Dedy und spricht von einem „Vermittlungsproblem“.
Tatsächlich aber liegt das Problem tiefer. Die Folgen des Klimwandels wie Starkregen, Hitzewellen und schwere Stürme sind für die Städte große Herausforderungen. Dabei geht es nicht nur um mehr Versickerungsflächen für Regenwasser, klimagerechtes Bauen, kommunales Energiemanagement oder mehr Frischluftschneisen in der Stadtplanung. Es geht auch um einen grundlegenden Wandel der Mobilität und neue Verkehrsformen. Diesen Herausforderungen zu begegnen, bedeutet große Veränderungen durchzusetzen, was nicht anderes heißt, als gewohnte Rollen in Frage zu stellen und neue Konzepte auszuprobieren. Meist wird das aber von den Menschen erstmal nicht gewollt.
In Köln beispielsweise will die Stadt nun nach dem Vorbild der Metrolinien in Berlin auf einer Haupteinfahrtschneise in die Innenstadt einen Expressbus einrichten, um dem drohenden Verkehrsinfarkt zu begegnen und die Schadstoffbelastungen der Luft zu mindern. Die Geschäftsleute auf der Aachener Straße laufen nun Sturm gegen das Vorhaben. Sie fürchten um ihre Kunden, die nicht bereit seien vom Auto auf andere Verkehrsmittel um zu steigen und demnächst wegbleiben würden, wenn die Parkflächen entlang der Geschäftsstraße der Busspur weichen. Ob nun neue Mobilitätskonzepte in den Städten oder Windräder im ländlichen Raum – immer mutiert der Streit über den richtigen Weg. Wäre Klimaschutz einfach zu haben – wir hätten ihn vielleicht schon. An der Frage, wer zu den Gewinnern oder Verlierern einer neuen Entwicklung zählt, sei es im Verkehr, sei es beim Wohnen oder der Energie, scheiden sich die Geister. Meist lautstark.
Wenn nun Städte und Gemeinden auf den Druck der Straße reagieren und auf die Proteste von „Fridays for Future“- oder „Scientists for Future“ hin Klimanotstände ausrufen, schaffen sie noch keine Lösungen. Sie machen erstmal nur auf ein drängendes Problem aufmerksam und machen es öffentlich. Das Etikett Klimanotstand hilft, die gesellschaftspolitischen Kräfte zu mobilisieren und zu bündeln. Aber es wird zu nichts führen, wenn nicht die Bereitschaft dahinter steht, sich über die notwendigen Veränderungen mit den Bürgerinnen und Bürgern zu verständigen und alle Beteiligten bereits sind, gemeinwohlorientierte Lösungen zu entwickeln.